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Niemand will die alten Zeiten zurück

Der Schriftsteller Thomas Brussig über den 11. September, Globalisierung und ostdeutsche Identität

Von Marcel Kirf

Er ist unter vierzig und er ist Ossi“, stellt Dr. Theo Sommer seinen Gast vor. Zuvor hatte der Herausgeber der Wochenzeitung „Die ZEIT“ im Mövenpick-Restaurant an der Historischen Mühle, nahe dem Schloss Sanssouci, beklagt, dass unter den Teilnehmern der von der ZEIT-Stiftung initiierten Summer School keine Ostdeutschen sind.

Held der Sonnenallee

Der Gast indes sitzt schüchtern und blass neben dem braun gebrannten Weißhaarigen und ordnet sein Manuskript. Er heißt Thomas Brussig. Als Schriftsteller wurde der gebürtige Ost-Berliner Mitte der Neunziger Jahre einem breiten Publikum in Deutschland bekannt. Mit zwei Werken, die gemeinhin als „Wenderomane“ bezeichnet werden: „Helden wie wir“ und „Am längeren Ende der Sonnenallee“. Beide wurden 1999 erfolgreich verfilmt. Besonders Leander Haußmanns viel gerühmte und preisgekrönte Version der „Sonnenallee“ mit prominenter Ost-Besetzung bis in die Nebenrollen (u.a. Henry Hübchen und Katharina Thalbach) trug dem unauffälligen, eher introvertierten Brussig die Weihen (und Wehen) literarischen Ruhmes ein.

Heute in Potsdam spricht er zum Thema: Globalisierung. Auch über den 11. September wolle er etwas sagen, verriet Frauke Hamann von der ZEIT-Stiftung im Vorfeld. „Allerdings weiß ich nicht, was. Ich kenne seinen Text nicht“, sagte sie.

Globalisierung ist das zentrale Thema der diesjährigen Summer School der ZEIT-Stiftung, die derzeit zum zweiten Mal stattfindet. In Hamburg diskutieren 55 Teilnehmer aus 27 Staaten vierzehn Tage lang über „good governance“. Täglich zehn Stunden, zwei bis drei hochkarätige Referenten wie Carl Friedrich von Weizsäcker, UN-Mitarbeiter und der Vize-Präsident der Weltbank inklusive. Am Abend gibt es „dinner speeches“, Vorträge beim Essen. Einen solchen hält nun Brussig, ausnahmsweise am Nachmittag. Dieses Wochenende besuchte die Gruppe das Kanzleramt in Berlin und für einen Tag Potsdam. Brussig soll ostdeutsche Befindlichkeit verkörpern. Neben der leidlich uncharmanten Einführung durch Theo Sommer zeigt sich dies auch in Frau Hamanns Antwort auf die Frage, warum gerade Brussig zu diesem Thema sprechen soll: „Er weiß, was Grenzen bedeuten.“ Und verfüge über die Erfahrung, was passiert, wenn ein Staat zusammenbricht, setze sich mit Identität und Identitätsverlust auseinander. Denn Globalisierung, so Hamann, bedeute auch die Preisgabe von Nationalstaaten. Davon weiß ein Ossi natürlich zu berichten.

Und Brussig fügt sich in seine Rolle. Die Kongresssprache ist Englisch. Also entschuldigt sich Brussig zunächst: „Sie werden gleich das schlechteste Englisch hören, das ihnen während ihrer vierzehn Tage in Deutschland begegnen wird.“ Und dann geht es doch. Brussig erzählt, nach dem 11. September hätten Journalisten immer wieder von ihm wissen wollen, ob sich durch das Ereignis für den Schriftsteller etwas verändert habe. Nein. Das habe „die Presse“ stets enttäuscht. Nein, sagt Brussig, denn Schreiben brauche Zeit. Fernsehberichte über die Anschläge, wissenschaftliche Arbeiten über die Hintergründe seien vergleichsweise schnell verfasst. Bücher müssten wachsen. Soviel zum 11. September.

Das Gefühl, zu Hause zu sein

Mein eigentlicher Vortrag handelt vom Gefühl, zu Hause zu sein“, leitet Brussig über. Ein Gefühl, das sich einstelle, wenn man an bestimmte Ereignisse oder Erlebnisse denke, an Orte oder an Musik. Nach dem Zusammenbruch der DDR habe es zunächst nur so von Widerständlern und Antikommunisten gewimmelt, erinnert sich Brussig, so dass er sich fragte: „Wie konnte die Mauer eigentlich so lange stehen?“ Nach einer Phase der Ernüchterung habe dann eine Romantisierung des Lebens in der DDR Platz gegriffen, das Singen alter Schlager, das Tragen alter Symbole, Ostalgie-Parties. „Ich aber entsinne mich nicht, dass die Leute damals glücklich waren“, sagt Brussig, und erklärt das Phänomen mit der Suche nach Identität, nach einem Zuhause. „Wiedervereinigung – ein Wort, zwei Lügen“, polemisiert der Schriftsteller. Im Gegensatz zu anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks habe sich nämlich in Ostdeutschland nicht nur alles verändert. Die Wiedervereinigung sei nicht „selbst gemacht“ gewesen, sie sei eher eine „Übernahme“ gewesen. Deswegen erinnere man sich, natürlich mit Defekten, mit Klitterung und Romantisierung: um etwas entgegen zu setzen. „Erinnerung ist nicht das Gegenteil von Vergessen. Erinnern heißt erinnern und vergessen“, weiß Brussig. „Haben Sie also keine Angst. Niemand wünscht sich die alten Zeiten zurück.“

Sei es im 20. Jahrhundert hauptsächlich um Ideologien gegangen, heiße es heute: der Mensch gegen die Imagination des Menschen. „Das Leben ist kein Bestseller“, mahnt Brussig. Idealbilder aus der Werbung seien massenwirksam und tödlich. „Wichtig ist, dass wir auch in einer globalisierten Welt Friede und Würde bewahren.“

(Potsdamer Neueste Nachrichten 21.04.2004)

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