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Fünfzehn Minuten Pop-Ruhm

Nicht alle wollen Bryan Adams auf der MTV-Campus Invasion sehen/ 3000 Besucher

von Marcel Kirf

Maxi kann gar nicht mehr aufhören zu schreien. Diese Nacht wird sie nie vergessen! Kreischend und mit den Armen rudernd hüpft sie über die Bühne, deren Aufbauten bis an die Zinnen der Communs am Neuen Palais reichen. Vor ihr jubeln 3000 Menschen, neben ihr steht Bryan, mit dem sie gerade ein Lied gesungen, nein: gebrüllt hat. Maxi ist Teenager, kommt aus Berlin und platzt fast vor Fanglück, Bryan ist ein internationaler Popstar und heisst mit Nachnamen Adams.
Das ist der Höhepunkt der „MTV-Campus Invasion“. Der berühmteste aller TV-Musikkanäle hatte für einen Freitag den Uni-Standort an der Lindenallee in ein buntes Festivalgelände verwandelt. Entlang kilometerlanger, mit schwarzer Plane verhängter Bauzäune riegeln Männer in roten Trainingsjacken und mit Handfunkgeräten bewaffnet das Areal zwischen Mensakomplex und preußischem Weltkulturerbe hermetisch ab. Auf den Straßen rundherum herrscht Verkehrschaos, hunderte Jugendliche strömen zu den Einlasslücken, Autos stehen flächendeckend im Halteverbot, unbehelligt von der Polizei, die alle Mühe hat, ihre Einsatzfahrzeuge durch das Gewusel zu lenken.
Die mächtige Bühne im Inneren, bald sechzehn Meter hoch und zehn Meter breit, verdeckt die historische Kulisse, die friderizianischen Kolonnaden, derenthalben sich MTV für diesen Spielort entschieden haben will. Kräftiger Westwind treibt immer neue Gewitterwolken über die weitläufige Campuswiese zwischen Mensakomplex und Audimax, die heute einem Marktplatz gleicht: Menschenmassen drücken sich zwischen Getränkeinseln, Essensständen, T-Shirt-Verkäufern, Promotionsbühnen, Kiosken und Technikzelten umher. Lastwagen parken auf dem Grün, Kabelstraßen führen zur Bühne und über den Köpfen kämpft in ständiger Bewegung ein Kamera-Kran mit den Wipfeln der großen Bäume dazwischen. Kamerateams lassen sich in die Blende jubeln, bemalte Nackte werben für eine Kreditkarte, Zeitschriftenverkäufer versuchen, Abos zu verkaufen und auf Großbildfernsehern vor einem Doppeldeckerbus lärmt das aktuelle MTV-Programm. Dort geben auch die Künstler, die gerade nicht über die Bühne toben, Autogramme. An anderer Stelle werden neue Gesichter für das TV-Programm gesucht: VJ-Casting.
Als die Briten „A“ über die Bühne rocken, beginnt es zu regnen. Die meisten Besucher stört das nicht. Ein Meer aus Köpfen und Armen wogt im Takt der harten Riffs. Die Wiese muss das verkraften. „Wir sind die Band, bei deren Auftritt es nie regnet“ versprechen „Sportfreunde Stiller“ aus München, und die Sonne kehrt wieder. Im Publikum schwenkt einer die bayerische Fahne. Die Potsdamer Fans wittern Provokation und skandieren: „Wir zieh’n den Bayern die Lederhosen aus.“ Von weit her sind manche gekommen. Andri aus der Schweiz ist neun Stunden gefahren, um Bryan Adams zu sehen. Und als die Stuttgarter HipHopper „Massive Töne“ auftreten, ruft eine Gruppe Schwaben begeistert: „Desch sinn unsre!“.
Unter Potsdamer Studenten ist die Begeisterung eingeschränkt. So echauffiert sich Claudia, dass an der Abendkasse 17 Euro verlangt werden, obwohl die Veranstaltung mit einer fünfstelligen Summe aus Studierendengeldern unterstützt wurde. Olaf beschwert sich, dass er das Gelände nicht verlassen darf: „So kann ich mir kein Geld holen, um ein T-Shirt zu kaufen.“ Und Marten attackiert das „Klassensystem“: „Wir müssen vier Euro für trockene Nudeln zahlen, und die VIPs schlagen sich die Plauze voll.“ Gemeint sind die Vorstände der Sponsor-Firmen, die mit dem Chef von MTV-Europe abgeschirmt im Sportgebäude speisen.
Manche haben sich den Eintritt gleich gespart und hören von draußen zu. Die beste Idee dabei hatte Markus, der mit seinen Freunden das Geschehen vom Dach seines VW-Busses verfolgt. Andere boykottieren auf ihre Art, bleiben bei der kleinen Bühne mit Potsdamer Bands, die hinter den Communs steht. Sie verpassen Bryan Adams absichtlich. Und leider auch Maxis fünfzehn Minuten Pop-Ruhm.

(Potsdamer Neueste Nachrichten 01.07.2002)

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